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Vor zwei Jahren habe ich ein Auslandssemester in England absolviert.
In Winchester um genau zu sein.
Bevor ich zum eigentlichen Thema der kurzen Rückkehr in diese Stadt komme, sollte ich vielleicht einen kleinen Umweg nehmen und das Pferd nicht von hinten aufziehen.
3 Monate England. 3 Monate Winchester. “3 Monate Urlaub”, denken manche. Haha, nein. 12 Wochen lang für Kurse pauken, Aufgaben vorbereiten, in der Mitte des Semesters erste Pflichtaufgaben, deren Note mit in die Endnote einfließen. Hinzu kam, dass man sich erstmal an das andere “System” gewöhnen und sich dort einfinden musste, da selbst Essays dort anders aufgebaut sind als hierzulande.
3 Monate voller interessanter Kurse. Ich hatte das Glück großartige Dozenten zu treffen, die sowohl von der Wissensvermittlung her als auch von der Art und Weise, wie sie ihre Kurse gaben wahrlich inspirierend waren. Außerdem hatte ich einen Kurs über Kurzgeschichten und da nahm die Prosasparte meines Schreibens erstmals ihren Lauf.
3 Monate, in denen ich neue Bekanntschaften schloss, aber vor allem auch neue Freunde fand. Freunde, mit denen ich bis heute in Kontakt stehe und an deren Leben ich dank moderner Kommunikationsmöglichkeiten zumindest noch ein bisschen teilhaben kann.
3 Monate, an die ich mich sehr gern erinnere, und nein, nicht weil alles Friede, Freude, Eierkuchen in einem Milch-und-Honig-See war. Es war eine nervenaufreibende Zeit, in der sich viel bewegt hat und viel im Wandel war, was sich auch noch weiterzog, als ich wieder heimkam. Aber vielleicht erinnere mich auch gerade deshalb gern daran zurück. Weil es Milch und Honig in schlaflosen Nächten gepaart mit Eierkuchen an nachdenklichen Tagen war.
3 Monate, die ich definitiv nicht missen wollen würde.
Interim: Ich kam heim. Eins der ersten Dinge, die ich tat? Alle Schränke, Regale und sonstige Aufbewahrungsmöglichkeiten, die ich besitze, öffnen, komplett ausräumen, ausmisten, wieder einräumen. Outside the Box sozusagen. Luft schaffen. Freunde treffen. Die Freundschaft zu meinen engsten Liebsten wurde intensiver und heute stehen wir noch enger zusammen als zuvor. Und dafür bin ich dankbar.
Uni. Arbeit. Kreatives. Einatmen, Anlauf nehmen, rennen. Verpasste Zeit aufholen. Vorwärts preschen um hoffentlich dahin zu gelangen, wo man hin möchte.
Schneller Vorlauf: 2014.
Endlich ergab sich die Gelegenheit wieder nach Winchester zu reisen. Wenn auch nur für vier Tage.
Als der Bus, der von Heathrow losfuhr, uns alle unten an der King Alfred Statue ausspuckte und ich tief einatmen konnte, musste ich lächeln. Der Schlafmangel und die Reiseunannehmlichkeiten (ja, es ist eine Unannehmlichkeit, wenn man knapp eine Stunde in einem Reisebus sitzt, in dem es so riecht, als hätte der Hamburger Fischmarkt beschlossen sich auf engstem Raume einzuquartieren) und die noch anstehenden Erledigungen, die zu machen waren, waren in dem Moment irrelevant. Wie weggewaschen. Ich war da.
Mal abgesehen davon, dass oftmals, wenn man verreist, die Atmosphäre anders ist, wenn man “weg” ist, hat England doch immer eine ganz besondere Wirkung für mich gehabt. Mit “weg” meinen wir ja sowieso meist “raus aus dem Alltag”, raus aus der Routine, der ständigen Wiederholung. Eine Pause von der leistungsorientierten, hektischen, drückenden Gesellschaft, in deren Hamsterrad wir jeden Tag rennen, nur um am Ende des Tages erschöpft aus ebendiesem herauszupurzeln, ins Bett zu kriechen und mit dem Gefühl einzuschlafen, man hätte noch nicht genug geleistet. Zumindest kann einem das manchmal schon so vorkommen. Wir reden hier nur von einem Gefühl, nicht davon, ob das wirklich als Tatsache so ist und ob das alles optimal ist, wollen wir jetzt gerade auch nicht erörtern.
Aber hier kommt der ausschlaggebende Punkt: Ich habe oft versucht zu analysieren, warum ich mich in Winchester, in England so wohl fühle. (So wohl, dass es mir jedes Mal schwer fällt, wieder zu gehen.) Ist es aufgrund der vielen Erinnerungen, die ich hege? Aufgrund der Tatsache, dass ich damit immer einen Aha-Moment und eine bewegende Zeit verbinde? Ich habe wirklich lange damit zugebracht, es immer und immer und immer wieder zu überdenken. Idealisiere ich und wenn ich länger dort wäre, wäre alles genauso routiniert, genauso eingefahren, genauso hektisch, einfach genauso?
Vorerst, und ich sage vorerst, ist das Ergebnis meiner Analyse eher dies: Ich persönlich zumindest empfinde die Mentalität dort als anders. Die Leute dort gehen auch arbeiten, haben auch ein Haus zu putzen, haben auch Hobbies, Freunde, Familie, Verpflichtungen, Ambitionen und Ziele. Aber irgendwie schaffen sie es trotzdem, ein Mal die Woche ihre Freunde auf ein Pint und eine Runde Billard im Pub zu treffen oder gemeinsam mit ihnen zu Abend zu essen und sich auszutauschen. Ohne auf die Uhr zu schauen, unruhig zu werden und das Gefühl zu vermitteln, ihre To-Do-Liste für den kommenden Tag hätte aufgrund dieses Vergnügens grad ihre Länge verdoppelt.
Es ist dieses Zeit haben, oder vielleicht einfach sich die Zeit nehmen für Dinge, die einen erfreuen und einen glücklich machen. Und trotzdem alles andere ebenfalls zu schaffen. Aber die Leute scheinen gelassener damit umzugehen. Ich sage scheinen, weil es meine persönliche Meinung und mein persönliches Empfinden ist. Wer zustimmen mag, kann zustimmen, wer dem nicht zustimmen kann, der stimmt mir da nicht zu. Wie gesagt, ich rede von einem Gefühl, einer Empfindung, nicht zwangsläufig von einer Tatsache, die sich belegen lässt.
Ich wurde gefragt “Und, Gina, ist Winchester noch so wie vor 2 Jahren, als du hier warst?”
Ja und Nein. Natürlich ist die Luft noch genauso, die Stadt hat sich kaum verändert, auch wenn hier und da ein paar Baustellen sind und ein paar neue Geschäfte eröffnet wurden und andere geschlossen haben. Aber nein, natürlich ist es nicht mehr genauso. Es liegen 2 Jahre dazwischen und da wäre es doch wirklich schade und traurig, wenn alles noch genauso wäre, weil das bedeuten würde, dass sich nichts bewegt hätte. Aber es hat sich viel bewegt, wir sind alle vorangeschritten in unseren Leben und haben Fortschritte gemacht und Erfahrungen gesammelt.
Aber was ich sagen kann ist Folgendes: Es ist ein unglaublich gutes Gefühl, wieder diese Luft zu atmen, die entspannte Atmosphäre in sich aufzunehmen und sie an sich selbst zu spüren und sie zu leben, Freunde nach 2 Jahren auf ein Pint und eine Runde Billard im Pub zu treffen und mit ihnen zu reden und sich auszutauschen, als wären 2 Jahre nichts gewesen.
Und nein, zu sagen “Dann nimm doch etwas von dieser entspannten Einstellung und Atmosphäre mit und wende das auch zuhause an” und zu glauben, dass dies so einfach sei, wie es klingt, ist einfach falsch.
Aber einen Versuch ist es wert!
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