#tbt: Stille
„Du erträgst die Stille nicht.“ sagte sie zu mir. „Deshalb hast du immer Musik im Ohr, das Handy in der Hand und den Fernseher laufen. Du erträgst die Stille nicht. Die Stille, die so schön ist.“
„Du meinst die Stille,“ sagte ich, „die sich schwer um dich legt wie ein nachtschwarzer Mantel? Die Stille, die so laut ist, dass du meinst, du hättest den schlimmsten Tinnitus im Ohr, den man haben könne? Die Stille, die schwer wie eine bleierne Röntgenweste auf deiner Brust liegt, sodass du kaum atmen kannst?“
„Nein.“ erwiderte sie. „Ich meine die Stille, in der man zu Bewusstsein gelangt. In der das Innerste wie ein Meeresrauschen erklingt bis es abebbt und man sich den Wogen hingeben kann. Ich rede von der Stille, in der man in sich kehrt und zur Ruhe findet, bis die innere Ruhe eben dieser Stille gleicht.“
„Ach so.“ sagte ich. „Du meinst die Stille, die so ohrenbetäubend ist, dass all das laut wird, was man zum Schweigen zu bringen versuchte. Die Stille, die Platz lässt für all das Unausgesprochene, all das Ungedachte, das Unausgereifte? Die Stille, die so schrill wird, dass es wehtut.“
„Ich meine“ sagte sie „die Stille, die den Schmerz lindert, die sich beruhigend um die Seele legt, damit diese sich eine Auszeit von all der Hektik, all dem Lärm gönnen kann. Die Stille, in der man sich selbst hört, bevor auch dies still wird und man inneren Frieden findet.“
„Du meinst“ antwortete ich „die Stille, die Leere repräsentiert. Die Stille, die dir mit ebendieser Leere vor Augen und vor Ohren führt, dass diese Leere dein Leben ist. Die Stille, die dir zeigt, wie still und leer es um dich ist. Die Stille, die du nicht füllen kannst, weil du nichts hast, was zum Füllen dieser leeren Stille oder dieser stillen Leere dienen könnte.“
Wir schauten uns an. Irgendwo zwischen uns lag die Wahrheit.
Doch zwischen uns und der Wahrheit lag vorerst nur eins: Stille.
Gina Laventura © 2013