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Und mit Lektor meine ich die Leute, die nochmal alles Korrekturlesen, bevor es raus in die Öffentlichkeit geht.
Aber fangen wir vorne an.
Wir sind soziale Wesen und unsere Interaktion miteinander beruht auf Kommunikation, sei diese nun verbal oder non-verbal. “Man kann nicht nicht kommunizieren”, wie Paul Watzlawick schon sagte.
Und natürlich wissen wir, dass es verschiedene Absichten und Ziele gibt, wenn wir kommunizieren, oder zumindest lernt man das, wenn man Sprache und Literatur studiert.
Ich will nicht unbedingt in die Details von Friedemann Schulz von Thuns Modell der “vier Seiten einer Nachricht” eingehen, in dem er erklärt, dass eine Nachricht einen informativen, einen appellativen, einen selbstoffenbarenden Inhalt hat und etwas über die Beziehung der beiden Gesprächspartner preisgibt. Wenn euch weitergehende Details interessieren, findet ihr hier mehr.
Aber einigen wir uns aus argumentatorischen Gründen hierauf:
Eine Nachricht kann informativ, appellativ, überredend oder überzeugend sein.
Wenn wir nun also über Business-Kommunikation reden, sagen wir mal, ihr wollt ein Produkt oder eine Dienstleistung verkaufen, aber auch in privaten Konversationen, nehmen wir mal an, ihr wollt jemanden von eurem Argument überzeugen, denke ich, können wir uns darauf einigen, dass all diese Kommunikationskanäle eines gemeinsam haben: einen Zweck.
Aber was ist dieser Zweck? Dieses Ziel?
Wenn eure Nachricht informativ ist, hat sie den simplen Zweck ebendiese Information weiterzugeben, ihr wollt uns mit dieser Information füttern.
Wenn eure Nachricht appellativ ist, dann wollt ihr, dass wir auf diesen Appell reagieren, richtig?
Wenn eure Nachricht überredend oder überzeugend ist, dann wollt ihr, dass wir euch zustimmen.
Was nun all diese Beispiele gemeinsam haben, ist nicht nur, dass sie alle einen Zweck haben, sondern auch, dass sie alle den gleichen Zweck haben: Ihr wollt in uns eine REAKTION hervorrufen.
Aber was passiert, wenn eure Kommunikation schiefläuft?
Naja, im besten Fall: nichts.
Im schlimmsten Fall generiert ihr eine Reaktion in uns, die ihr nicht haben wolltet, zum Beispiel gebt ihr uns eine Information, die wir nicht brauchen, nicht verarbeiten können oder die wir weder fähig noch gewillt sind, herunterzuschlucken.
Oder euer Appell war darauf ausgelegt eine verbale (“Sag was!”) oder eine non-verbale (“Tu was!”) Reaktion hervorzurufen. Wenn eure Kommunikation misslingt, dann sagen wir weder etwas, noch tun wir etwas, im besten Fall. Im schlimmsten Fall sagen wir das, was ihr nicht hören wolltet oder tun genau das entgegengesetzte zu dem, was ihr eigentlich wolltet.
Oder aber eure überzeugende oder überredende Kommunikation geht daneben und wir widersprechen euch anstatt euch zuzustimmen.
So oder so, im Prinzip generiert ihr ein “Nein”, wo ihr eigentlich ein “Ja” haben wolltet, ganz simpel gesprochen.
Nette Rede, Miss Laventura, aber was hat das mit Lektoren zu tun?!
Lektoren sind – im besten Falle – Sprachliebhaber. Oder zumindest kennen sie ihr Werkzeug und wissen damit umzugehen.
Ihr Werkzeug? Wörter.
So, nächste Lektion:
Ihr denkt vielleicht, dass unser Denken unsere Sprache beeinflusst, richtig?
Korrekt. Aber das funktioniert genauso andersherum und das ist ein Aspekt, den viele Leute leider übersehen.
Lasst mich euch einige Beispiele vorstellen: Die Inuit haben angeblich zweihundert – 200 !!! – verschiedene Wörter für Schnee. Wie viele habt ihr? Aber warum? Vermutlich, weil ihre Umgebung essentiell ihr Leben und vor allem ihr Überleben beeinflusst und es daher überlebenswichtig für sie ist, zu wissen, welche Art von Schnee sich dort befindet.
Die Hopi-Indianer haben keine Zeitformen wie wir sie kennen. In dem Beispiel, das uns im Kurs gegeben wurde, sieht man einen Mann an eine Mauer gelehnt und er sagt jedes Mal “Er rannte”. Also, gleiches Bild, gleiche Position und jedes Mal “Er rannte”. Was ist eure natürliche Reaktion darauf? Genau, wahrscheinlich “Was zum Kuckuck?! Rannte er, rennt er oder wird er rennen?!”, weil dies nun mal die Kategorien sind, in denen wir Zeitrahmen und Zeitpunkte definieren, richtig? Es ist für unser Denksystem unverständlich, unbegreiflich, im wahrsten Sinne, wir können es nicht greifen.
Natürlich gibt es auch einfachere Beispiele, wie die Tatsache, dass die englische Sprache kein Wort für “Fernweh” kennt oder, dass – einfach gesprochen – es Wörter in einer Sprache gibt, für die es kein Äquivalent in einer anderen gibt.
Zurück zu den Lektoren.
Wie schon gesagt, im Idealfall sind sie Sprachliebhaber oder wissen mit ihrem Werkzeug umzugehen.
Und ich meine nicht zwangsläufig den manipulativen oder überredenden Einsatz von Sprache, wie man ihn so oft aus der Werbung kennt, das ist nochmal ein Thema für sich, auch wenn ich zu behaupten wage, dass hierbei ähnliche Töne angeschlagen werden.
Aber es geht um die Verwendung von Stilmitteln (ja, genau, die nervigen, die ihr aus der Schule kennt, Alliteration, Personifikation, etc.).
Wozu? Ja, genau, jetzt habt ihr’s, meine Freunde: Für den Zweck!
Um eure Aussage rüberzubringen, um eine Reaktion zu generieren (und natürlich, wenn es um geschäftliche Kommunikation geht, geht es meist nicht nur darum eine Reaktion hervorzurufen, sondern eine ganz bestimmte zu generieren).
Sprache kann uns bewegen, uns verletzten, ja uns vielleicht sogar heilen.
Was ich meine ist das hier:
“Die Kategorisierung, die in emotionalen, amourösen Beziehungen stattfindet, dient als destruktive Kraft gegenüber der wahren Bedeutung der Emotion selbst.”
Oder:
“Liebe wird zu einem vergessenen Wiegenlied, wenn wir sie etikettieren wie Lippenstifte.”
Was bleibt bei euch eher hängen?
Warum sehen wir nie,
dass ein bisschen Poesie
geht so leicht von Mund zu Ohr,
hebt hervor
die Nachricht, die ein anderer trägt,
die mit Lächeln oder Tränen uns bewegt.
Warum sehen wir nie
den Zauber und die Kraft der Poesie?
(ja, grad ausgedacht, war eigentlich nicht geplant, aber hey, das ist das Leben, Reaktion und so)
Okay, super, Miss, nun hast du uns gezeigt, dass Lektoren ihr Werkzeug kennen und zu gebrauchen wissen sollten, aber der Titel hier behauptet eine Antwort auf die Frage zu haben, warum Lektoren wichtig sind.
Ihr habt Recht, entschuldigt bitte, ich bin abgeschweift, schönes Thema, die Sprache, weites Feld, ich mag es.
Okay, ich schulde euch eine Antwort.
Schaut euch mal das Bild an, das diesen Blogeintrag begleitet. Lest es in Ruhe durch.
Ja, genau das war auch meine Reaktion!
Diese Herzen wurden vor Allerheiligen verkauft um sie in Gräber zu stecken.
Würdet ihr sie kaufen? Würdet ihr sie in das Grab eines geliebten Menschen stecken?
Dachte ich mir.
Aber warum nicht? Was ist hier gescheitert?
Es ist nicht nur die Tatsache, dass sich da Rechtschreibfehler befinden, sondern es hat eine weitere, tiefere Ebene.
Analysieren wir das mal kurz: Ihr wolltet dieses Produkt verkaufen. Ihr wolltet, dass wir dieses Produkt kaufen. Ihr habt ein Produkt angeboten und wolltet eine positive Reaktion, ein “ja” generieren, das sich in einer non-verbalen Aktion, nämlich dem Kauf des Produkts, manifestiert.
Die Tatsache, dass diese Produkte nun im Handel zum Verkauf angeboten werden, zeigt verschiedenes: Zum Einen scheint derjenige, der die Schrift auf den Herzen angebracht hat, die Produkte nicht gegengeprüft zu haben. Zum Anderen scheint kein Lektor eine weitere Prüfung vorgenommen zu haben. Des Weiteren scheint es keine finale Überprüfung gegeben zu haben, bevor die Produkte in den Handel gingen.
Aber wisst ihr, was die Reaktion ist? Nein.
Und wisst ihr, warum die Reaktion “Nein” ist?
Weil die fehlende Überprüfung, das fehlende Lektorat eine weitere Aussage mit sich trägt:
Ist mir egal!
Dass wir als Kunden euch egal sind, dass unsere Reaktion euch egal ist, weil ihr anscheinend glaubt, wir würden es trotzdem kaufen.
Und wisst ihr, was dieses “Nein” begleitet? Eine Abneigung, Abstoßung. Weil es tief im Innern etwas von fehlendem Respekt hat, von Arroganz, ja vielleicht sogar eine Art Beleidigung des potentiellen Kunden/Käufers.
Das hier ist nur ein Beispiel, wendet es gern auf andere Fälle an.
Wenn eure Website voller Rechtschreibfehler ist oder ihr die falschen Wörter benutzt, vermittelt das den Eindruck, euch seien eure Leser/Kunden egal.
Hinzu kommt, dass ihr die Informationen, die ihr eigentlich geben wollt, verfälschen könntet. Und ich denke, wir sind uns einig, dass es einen Unterschied zwischen “Kaum hatte er gearbeitet,…” und “Er hat kaum gearbeitet” gibt, oder?
Und damit arbeitet ihr gegen euch selbst, da ihr durch die Verwendung falscher Wörter und fehlender Korrektur eine Reaktion hervorruft, die eurem eigentlichen Zweck entgegengesetzt ist.
Im schlimmsten Fall erinnern wir uns an euch als jemanden, dem seine Leser/Kunden egal sind und hören auf eure Produkte zu kaufen, eure Zeitung zu lesen, werden euer Buch nicht kaufen oder die von euch angebotene Dienstleistung nicht buchen.
Heutzutage ist die Halbwertzeit einer Information sehr kurz und das macht viele Leute nachlässig, weil “ach, wen stört das schon, morgen interessiert das keinen mehr” oder “ach, die werden das schon verstehen” wird die Mentalität, nach der wir leben.
Es ist nur Sprache, richtig? Und es ist ja nur auf der sprachlichen Ebene, auf der wir euch als Kunden egal sind, richtig?
In persona seid ihr wie Mütter selbst, es ist nur das sprachliche Level, das ihr vernachlässigt, ja?
Ist ja nur Sprache.
Richtig?
Denkt daran, was wir zuvor besprochen haben, wie auch Sprache das Denken beeinflusst. So hat Sprache dann doch auch einen Einfluss auf unser Handeln, nicht?
Auch wenn das Argument “ein nachlässiges Verhalten auf sprachlicher Ebene zeugt von einem nachlässigen Verhalten im Allgemeinen” etwas weit hergeholt erscheinen mag, so deutet es doch ein wenig darauf hin, oder nicht? Unbewusst und ganz tief drinnen?
Versteht mich nicht falsch, bitte seht das nicht als Beleidigung oder Angriff.
Ich sage nicht, dass euch eure Kunden egal sind.
Ich sage nur, dass das die unterschwellige Botschaft sein kann, die bei euren Kunden ankommt.
Und okay, nicht jeder Kunde interessiert sich dafür und manchen ist es egal, aber es wird auch potentielle Kunden geben, die dadurch immer genau das bleiben: potentiell.
Weil ihre Reaktion sein könnte “Wenn die sich um mich genauso gut kümmern wie um ihre Grammatik, geh ich da besser nicht hin”.
Und DAS, meine Freunde, ist der Grund, warum Lektoren wichtig sind.
Weil sie helfen können, solche Szenarios, wie sie eben beschrieben wurden, zu verhindern, weil sie euch kennen, weil sie eure Aussage und eure Botschaft kennen und euren Gesprächspartner und sie den richtigen Kanal suchen um eure Botschaft zu vermitteln. Sie können euch helfen, wenn alle anderen Aspekte eures Projekts euch in Anspruch nehmen oder ihr betriebsblind geworden seid und ihr einfach nur noch fertig werden wollt.
Weil sie Sprachliebhaber sind oder zumindest mit ihrem Werkzeug umzugehen wissen.
Ihr Werkzeug? Wörter.
PS: Ja, ich rege mich jedes Mal auf, wenn ich im Nachhinein noch einen Fehler in einem meiner Einträge finde, auch wenn ich kein Geld mit meinem Blog verdiene.
PPS: Ja, die Stelle mit dem Lippenstift war ein Zitat aus Labelled Love, obwohl ich Menschen, die sich selbst und ihre eigenen Werke zitieren, meist eher komisch finde.
PPPS: Ja, richtig geraten, ich bin Lektorin 😉
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